„ÜBER DIE KLEINE BRÜCKE” ZU TAMARA BOŁDAK-JANOWSKA, DER DICHTERIN
Rainer Strobelt
Uns liegen Gedichte der Tamara Bołdak-Janowska aus nunmehr zwanzig Jahren vor. Wir können sie in drei Gedichtsbänden nachlesen, die alle auch Gedichte vergleichbarer Qualität von Tamaras Ehemann, Antoni Janowski, enthalten: Wiersze i rysunki. „Szmatka-Notatka”, Olsztyn 1994; Jeśli poezja jest bezsilna, Olsztyn: Littera 1998; Niewidomy pies rymów, Olsztyn: Borussia 1999.
Tamara Bołdak-Janowskas poetische Texte loten immer die ganze menschliche Existenz aus. Dies kann in zweiundvierzig Zeilen geschehen oder in drei. Der Eindruck von Dichte ergibt sich aus der dialektischen Anwesenheit von Untergang und Bestand (Thematik); Bitterkeit und Scherz (Ton); feinstem poetischen Bild und derbem Wort (Sprache, poetische Form).
Berechtigung, die Biographie zu intonieren, besteht; denn, wer erst 1994 seinen ersten Gedichtsband vorlegen darf, wessen „poetische und intellektuelle Energie ins Leere, in Resonanzlosigkeit” (Ralph Giordano in Ostpreußen ade) verströmte über lange Jahre, der wird uns die Gründe nennen dürfen: „Ich bin ... / Weißrussin. Ich trage einen sehr alten / tatarischen Namen (mein Ur...großvater kämpfte / tapfer / zusammen mit Sobieski). Ein anderer Ur...großvater / war Deutscher. / Eine der Ur...großmütter sprach ganz passabel / jiddisch. / Ich schreibe polnisch. Das Lesen / auf weißrussisch macht mir großen Spaß. / Ich bin Polin! /... / All das ergibt, / daß ich mich mindestens / als die ganze nördliche Erdhalbkugel fühle. / Ja. Das macht müde.” (aus: Wiersze i ...)
Und doch nicht müde, denn Tamara Bołdak-Janowska nimmt auch weiterhin den Puls des Alltags, entlarvt für uns alle z.B. gegenwärtiges nationalistisches Tun: „Zuerst töte ich eines ihrer Kinder, / dann – eines der unseren, und danach – komme ich zurück.” (aus: Wiersze i ...). Ihr Kind, unser Kind. Sie singt das Hohelied der Versöhnung unter den Religionen, ist Dichterin des Ausgleichs: „‘s Dawidle, mein Brüderchen, spielt Geige/ ‘s Dawidle, mein Brüderchen, spielt schön.” (aus: Wiersze i ...)
Aber darf solch eine Wanderin nicht auch einmal an bestimmter Orten stehenbleiben, sich in einem „orthodoxen Kirchlein” wohlfühlen, zumal sie gleich wieder Ohr und Auge poetisch öffnet: „Das Zittern der Erde, des Berges und der Ameise. / Ein Heim aus gefrorener Welt auf Glas / von Reif verletzt.” (aus: Wiersze i ...)?
Wie sollte der Seherin nicht mitunter bang werden; wie sollten „glanzlose Sterne” nicht als Überbringer der „Nachricht vom Himmelstod” (aus: Niewidomy...) erscheinen; jüngere Lebensjahre in der Rückschau nicht den „Luftzug herausgerissener Seiten” (aus: Niewidomy ...) hinnehmen müssen; wie sollte das Frausein nicht zu einem Seufzer führen: „Die Frau erlischt: blüht sie denn nicht? / Die Frau erlischt: spricht sie denn nicht?” (aus: Jeśli poezja...)?
Aber gerade das Frausein gibt Tamara Bołdak-Janowska poetischen Halt. Bewegendes Zeugnis legt sie ab in dem Gedicht „Beichte”, das sie Janusz Żernicki widmet (aus: Niewidomy...): Obwohl die Dichterin ihr Los zu beklagen scheint, und sie unrühmlichen Ausgang fürchtet, nimmt sie ihr Schicksal schließlich in beeindruckender Weise an, indem sie sich den Richter als „meine Dame” erwünscht.
Ja, um die Kunst kämpft Tamara Bołdak-Janowska am meisten. Die ist ein wunderbares Land. Boden, Raum und Zeit sind dort zwischendurch zu gewinnen; hier bewegt sich die Dichterin, der Sappho gleich, als Akrobatin „auf einem Boden, welcher ausgekämmt aus Ewigkeit.“ (aus: Niewidomy ...). Bedroht von Andersartigem ist dieses Land ständig: „Gebeugt um deiner willen, / General des schweren Schuhwerks unter einem schweren Kopf.” (aus: Niewidomy...).
Speziell Gedichte können Zukunft in sich bergen: „Sie wiegen soviel wie die Wurzeln von morgen.” (aus: Wiersze i ...). Werden sie die Erde halten? Oder oberhalb verdorren? Die Dichterin singt für alle Fälle.
Wie schön ist ja die Erde! Ihre Anmut veranlaßt die Verfasserin mitunter zu einer Breitseite gegen uns selbsternannte Herren: „Ich habe den Menschen vergessen. / ich schaue auf die Vögel mit dem Ohr, / sehe silberne Fäden ihrer Sprache.” (aus: Wiersze i ...). Am wunderbarsten klingt es, wennn sich der Störenfried erst gar nicht ins Gedicht drängt. Dann lesen wir solch herrlich leichten Text: „Regen im Dezember! / Die Pfützen plätschern / als ob Welpen eine Hündin/ an den Brustwarzen zögen: der Himmel berührt die Erde.” (aus: Wiersze i ...). Nicht wahr, groß und klein sehen wir da lauschen, aller Augen leuchten!
Jetzt aber ist ein Höhepunkt erreicht: Wie nämlich Tamara Bołdak-Janowska Natur, Kreatur und scheinbar schwachen Menschen (es ist wieder eine starke Frau!) gutwillig vereint, in einem Text vollkommener Struktur, kraftvollen Bildes sowie wunderbarer Harmonik von Ton und Sache:
Kołodziczanka – ein kaltes Flüßchen – mit schwarzem Wasser und schwarzem Grund: Vollkornscheiben mit glattem Glas überzogen. Über die kleine Brücke – ging eine Alte, ganz weiß, ausgemergelt, dreimal angeknicktem Schilf ähnlich: in der Schulter leicht, in der Taille stark noch stärker – in den Knien. Ein stattlicher Stab führte sie, aus Birkenholz, getupft, und stark, als wäre er ein junger Dalmatiner.
Richtig ist, wenn Ewa Mazgal sagt, die Poesie der Tamara Bołdak-Janowska sei ein Kampf mit der verrinnenden Zeit.” („Gazeta Olsztyńska“, 5.-7. Juni 1998), wenn Kazimierz Brakoniecki von der „ungewöhnlichen Schönheit” ihrer Verse spricht (BORUSSIA, 9).
Allerdings ist es an der Zeit, darüber hinaus zu gehen. Klar auszusprechen, daß es sich bei Tamara Bołdak-Janowska um eine bedeutende polnische Dichterin zwischen den Jahrhunderten handelt.
„Across the little bridge” On Tamara Bołdak-Janowska, the poetess
In three books of poetry – always containing comparably fine verse by her husband, Antoni Janowski, Tamara Bołdak-Janowska has presented the literary public with her poetic work of the last two decades. They are: Wiersze i rysunki. „Szmatka-Notatka”, Olsztyn 1994; Jeśli poezja jest bezsilna, Olsztyn: Littera 1998; Niewidomy pies rymów, Olsztyn: Borussia 1999.
B.-J. tends to reflect the whole of human existence. She may succeed in three lines, while, generally her poems are of middle length. The impression of richness prevails stemming from themes fluctuating between decay and continuance, tones ranging from bitterness to jest; language conveying the finest of poetic imagery but, also, the harsh word.
B.-J,’s long time in the publishing offside has already been deplored by Ralph Giordano, the famous German author, in his book Ostpreußen ade. In one poem B.-J. suggests her various ethnic roots as a possible impedient: “I am ... / a Belorusian woman.”
Some of her poetry covers, and we have to be thankful, very prosaic aspects of the past as well as the present as she expresses sympathy for the religiously persecuted and disgust of neo-nationalism.
It is with relief that we especially welcome the moments when B.-J., as the wanderer in time and place she turns out, feels at home in a “little orthodox church”, all the more so as she offers fine poetic record thereof: “The trembling of the earth, the mountain and the ant. / A home from a frozen world of glass / wounded by white frost.”
Oh yes, the poetess definitely has reason to sing songs of anxiety: How should “glareless stars” not appear as “news of heaven’s death”, how should her sex not produce a sigh: “The woman’s fire – all extinct: but does she not bloom? / The woman’s fire –all extinct: but does she not speak?” But it is exactly her being a woman that generates much of B.-J.’s poetic impact: In “Confession”, dedicated to Janusz Żernicki, she, in wonderful simplicity and to our surprise, apostrophizes her final judge as “my Lady”.
Despite the title of her second book of poetry, meant to be defiant, of course, the importance of poems is something B.-J. is deep down convinced of, since they meaningfully connect the present and the future “weighing as much as tomorrow’s roots”.
B.-J. expresses great respect for nature (with the humans, in tendency, rather regarded as intruders): “Rain in december! / Puddles splashing / as if wasps were tearing / at the teats of a bitch”.
However, B.-J. is able to include humanity (characteristically, it is a strong woman) in a really special poem that excels in structure, powerful imagery, in short, perfect harmony of tone and subject matter:
Kołodziczanka – a cold creek indeed – with water black and black the ground: Slices of wholemeal bread coated in smooth glass. Across the little bridge – went an old woman, all white and gaunt, similar to reed snapped, not fully, in three places: slightly so in the shoulder, very much in the waist, even more – in her knees. An imposing stick was leading her along, one from a birch tree, as if it were a young dalmatian.
Very rightly have Ewa Mazgal (in Gazeta Olsztyńska, 5 – 7 June 1998 and Kazimierz Brakoniecki (in BORUSSIA, 9) pointed out several items of mastership in B.-J.’s poetic writings, but time is overripe to state clearly that the name of a most praiseworthy poetess of Poland between the centuries is that of Tamara Bołdak-Janowska.
Rainer Strobelt (also author of the translation into English of Tamara Bołdak-Janowska’s poetry done especially for this article)
Tamara Bołdak-Janowska
Wieviele Jahre braucht eine Frau, um zu erblühen? Viele. Bevor man ihre Farbe, Form, ihren Duft erkennt – erlischt sie. Wie viele Jahre braucht eine Frau, damit man ihre Stimme vernimmt? Viele. Die Stimmen erlischt. Die Frau erlischt: blüht sie denn nicht? Die Frau erlischt: spricht sie denn nicht? Fortgeschoben aus den Enzyklopädien, aus der Kunst, aus der Gesellschaft, aus der Klammer, die gefangenhält, aber auch schützt und aus Flügeln in die Höhe hebt, Flügeln, einer dichten Grenze gleich.
übersetzt von Anton Mazanka und Rainer Strobelt
***
Abend – bestimmt rosa, oben wie ein angesengtes Blatt Papier, und still. Man hört, wie die Uhr aufwärts klettert, demnächst von den Gipfeln herab: wie sie vorwärtskrächzt: wie Pochen in Absturz und Aufstieg hinein – ruhig, wie bei einem Atheisten, ruhig,ruhig. Zuerst unter die Kugel, dann von der Kugel herab. Wie schön das doch ist, nicht wahr, Ohr? Aber das Auge. Das sieht Gott, den rosafarbnen. Da, wo der Himmel am niedrigsten ist, wo das Blatt kaum Feuer fängt, und ganz da oben, in der wahren Bewegung, der Glut.
(aus: Niewidomy pies rymów, Olsztyn: Borussia, 1999)
Kołodziczanka – ein kaltes Flüßchen – mit schwarzem Wasser und schwarzem Grund: Vollkornscheiben mit glattem Glas überzogen. Über die kleine Brücke – ging eine Alte, ganz weiß, ausgemergelt, dreimal angeknicktem Schilf ähnlich: in der Schulter leicht, in der Taille stark noch stärker – in den Knien. Ein stattlicher Stab führte sie, aus Birkenholz, getupft, und stark, als wäre er ein junger Dalmatiner.
Ich habe den Menschen vergessen. Ich schaue auf die Vögel mit dem Ohr, sehe silberne Fäden ihrer Sprache. Ich schaue auf die Blumen mit der Nase, sehe goldene Kleider ihres Dufts. Ich schaue mit den Füßen aufs Gras, sehe den geflügelten Himmel seines Traumes. Ich verstehe nicht, was der Mensch spricht. Ich verstehe seine Gedanken nicht. Ich weiß nicht, wovon er jetzt träumt. Uns trennt eine Kluft von Angst. Eine Kluft der Vermischung von Sprachen. Eine Kluft der Gräber. Eine Kluft der Vermischung von Ethik, ihren Facetten, von Zielen. Ich höre den Menschen mit dem Verstand, und sehe die Kluft. Zuerst eine Kluft.
(aus: Jeśli poezja jest bezsilna, Olsztyn: Littera, 1998)
Ich bin .. Weißrussin. Ich trage einen sehr alten tatarischen Namen (mein Ur...großvater kämpfte tapfer zusammen mit Sobieski). Ein anderer Ur...großvater war Deutscher. Eine der Ur...großmütter sprach ganz passabel jiddisch. Ich schreibe polnisch. Das Lesen auf weißrussisch macht mir großen Spaß. Ich bin Polin! Ich bete in der orthodoxen Kirche. Einmal im katholischen Dom hat e t w a s an Blumen gerührt. Eine Katze! Doch kein Teufelchen. Diese grünäugige, schwarzhaarige und winzige Erleichterung ist mein ständiger Paß für den Vatikan. Mein Mann ist halb Pole halb Deutscher. Aha. Auch noch das: ich habe einen georgischen Vornamen. All das ergibt, daß ich mich mindestens als die ganze nördliche Erdhalbkugel fühle. Ja. Das macht müde.
Tamara Nikifor – ein Gedicht zum Abschied
Oder – ich gehe wohl schon. So gehe ich denn – als ob niemand einen Stein im Herzen gespürt hätte. So spreche ich denn – zu den vier Winden: – Verweht mich, vier Winde, dorthin – wo – mein – Kind – geht. So rede ich denn – als ob ein Baum in der Frucht gestürzt wäre. So wird man mich denn tragen – wie man ‘was in ‘ner Tasche trägt. Oh Fleisch! Oh süßer Schatten der Gewebe! Wie schnell ist nur dein Verfall!
Mozart aus dem Badezimmer
Den Mozart, den du raschelnd spielst indem du dir die Zähne mit einer ausgelutschten Bürste putzt – ich höre, und über diese Musik (und über mein Zuhören) lache ich leise. Und mein leises Lachen schwimmt auf kleinem Wasser, und mein kleines Wasser lacht, in das ich ja bis zu beiden Ohren eingetaucht bin. Das zusammengewachsene Wasser mit der Nabelschnur unter dem Wasserhahn: – ähnlich einer großen Schippe mit einem glänzenden Schaft, den ich mit meinem Fuß durchdringe: (das Rascheln von Stroh; das Knistern eines gerade gebrochenen Astes; schschsch – ein Auto pflügt mitten durch eine Pfütze)... Das Schweigen von Gegenständen wäre furchtbar, denke ich plötzlich. Und wage das nicht laut auszusprechen. Ich kann doch nicht mit eigener Stimme die einzige Stimme töten, die mich umgibt: gütig, nein, unvermutet: künstlerisch. Am schönsten ist Mozart aus deinem Mund. ein Flüstern, laut vernehmbar, ein Flüstern, rhythmisch: ... ... ... ... ... ... scheu-scheu-scheuern-schrubben-schrubben-schrubb
(übersetzt von Anton Mazanka und Rainer Strobelt)
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