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Manfred Voita

geboren 1952 in Hagen/Westfalen, Deutschland

"so oft umgezogen, dass Heimat kein Ort mehr ist, sondern Sprache"

 

Erzählung

Essay

 

Kurzgeschichten veröffentlicht in Anthologien (z. B. 2013: "Hot House Blues", "Starthilfe" in Intergalaktisches Seemannsgarn, ohneohren Verlag)

Sein empfehlenswerter Blog hat die Adresse: https://manfredvoita.wordpress.com/

 

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Rainer Strobelt über Manfred Voita:

 

Manfred Voita schreibt Prosa, die Essay oder Erzählung sein kann; mitunter Verbindung aus beidem. Sein Interesse gilt den Hierarchien, wie sie sind, wie sie waren: der Einzelne und die Systeme; Literaturbetrieb, Technik, Wissenschaft unter Einbeziehung auch des ganz Aktuellen. Seine Sprache variiert zwischen Jargon und lyrischem Detail. Seine pointiert ausgeführten literarischen Arbeiten wirken thematisch frisch, gut komponiert, Ton und Botschaft nach ernst, dabei Ironie, Humor, das Inventar der Sprache beachtend: lesenswert.

 

Textbeispiele:

Manfred Voita

Erinnerung

memory overflow error. Das System steht still. Nichts geht mehr. Einst, als das Leben dem Rhythmus von Säen und Ernten folgte, war ein voller Speicher Grund zur Freude, war Anlass für ein Erntedankfest und verhieß Zeit, um sich in Ruhe am Herdfeuer Geschichten zu erzählen. Zwei Gigabyte Speicherkapazität soll das menschliche Gehirn haben, so viel wie der Arbeitsspeicher meines PCs. Der Arbeitsspeicher, random access memory, erlaubt den wahlfreien Zugriff. Was im Speicher ist, kann abgerufen werden. Jetzt. Dafür merkt er sich nichts dauerhaft. Das kann ich besser. Manchmal.

Die Hirnforschung spricht vom episodischen Gedächtnis und weiß, dass das limbische System dabei eine große Rolle spielt. Nur eine Region in unseren Köpfen, und doch zerfiele, wie Ewald Hering schrieb, „ohne die bindende Macht des Gedächtnisses unser Bewusstsein in so viele Splitter, als es Augenblicke zählt.“

Erinnerst du dich noch? Noch… immer noch, wie lange noch, schon nicht mehr? Erinnerungen, die wir nicht sammeln, sondern die sich ansammeln. Sicher geglaubte Erinnerungen, wie Fotos oder Briefe in Schubläden oder Schuhkartons, die ab und zu hervorgeholt, stolz hergezeigt oder wehmütig betrachtet werden. Die sich abnutzen, die Farbe verlieren und knittrig, löchrig werden. Bin ich das, war ich das? Sonne auf meiner Haut, das Kind an meiner Hand. Andere Erinnerungen, die sich eingebrannt haben, die wie Reflux unwillkürlich aufsteigen, die Phantomschmerzen auslösen. Der Anruf früh am Morgen, die sachliche Stimme der Krankenschwester. Die Todesnachricht. Ein gusseisernes Gedächtnis ist eine Strafe, so ähnlich hat Arno Schmidt das gesagt.

Aber auch seltsame Szenen, Bilder finden sich, die scheinbar für sich alleine stehen, unverbunden, herrenlos, die meine Erinnerungen sind und deren Herkunft und Bedeutung mir doch verborgen bleiben. Ein Haus irgendwo in Ostfriesland, ein heller, kühler Raum an einem klaren, warmen Sommertag. Ein weiß gestrichener Fußboden – wer streicht denn seine Dielenbretter weiß? Aber wer bin ich, meine Erinnerungen anzuzweifeln? Eine Luke im Fußboden, die geöffnet wird: mehr nicht. Kein Vorher, kein Nachher, keine handelnden Personen. Ein Relikt wie ein Artefakt einer untergegangenen und vergessenen Kultur.

 

©by Manfred Voita

 

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 Schreibtischler

 

Eine Werkstatt! Und das mir, der ich mir schon die Finger klemme, wenn ich den Werkzeugkasten aufmache. Ich bin nämlich nur Mundwerker, ernähre mich sozusagen redlich. Da ist sie auch schon, gleich hinter der grauen Metalltür.

Was wird mich dort erwarten?

Einen Gruß murmelnd trete ich ein, fast unbemerkt im Lärm der Schreibmaschinisten und Textverarbeiter.

„SATZBAUSTELLE“ steht in fetten schwarzen Lettern auf einem rot-weiß-gestreiften Schild, das mitten im Raum von der Decke baumelt.

Männer und Frauen im Blaumann, Schreibtischler, über Werkbänke gebeugt, feilen an grammatikalischen Konstruktionen, schmieden Verse, gießen flüchtige Gedanken in feste Formen.

Die Frau Text-Bauingenieurin mit dem Vorschlag-Hammer schart ihre Lehrlinge um sich.

Wortverdreher, Silbendrechsler, Seitenschneider und Lautmaler. Sie zückt das Versmaß und beugt sich lächelnd über die noch ungelenken Werkstücke.

Mächtig brummt der Funken sprühende Kreativitätsgenerator. Abfalleimer quellen über: Wortbruch, schiefe Absätze, unscharfe Bilder: Eine Fundgrube für Stilblüten-Ikebana.

Gerade will ich leise umkehren, da werde ich doch noch bemerkt.

„Ich möchte etwas reklamieren.“

Super Einstieg, damit macht man sich in jeder Firma direkt Freunde.

„Den Thomas-Mann-Baukasten. Sie wissen schon, die Buddenbrooks als Textbausatz. Als ich sie zuhause ausgepackt habe, war alles durcheinander.“

„Da müssen Sie was falsch gemacht haben. Zeigen Sie mal her.“

Kurzer Blick auf die ersten Sätze.

„Sie haben ja am Text rum gepfuscht. Damit ist die Gewährleistung hinfällig.

Was sollte das denn werden?“

Ich zögere, dann gestehe ich.

„Ein Roman. Ich hab gedacht, wenn ich all die Wörter nehme, die Thomas Mann verwendet hat, dann muss es doch klappen.“

Die Meisterin lässt den Vorschlaghammer locker schwingen.

„Na dann lesen Sie mal vor.“

Einlesen, ablesen, verlesen, durchlesen, vorlesen, kein langes Federlesen.

Ausgelesen.

 

©by Manfred Voita